TEXTE

 

verschiedener Autor/innen zu meiner Arbeit

KAROLINA SARBIA
Kunsthistorikerin München

 

Anja Hantelmann Versuch einer Einordnung_Kunstforun Mainturm Flörsheim

Text zur Einführung

 

Vor über einem Jahr bin ich AH und ihren Werken das erste Mal begegnet. Ich erhielt eine Mail mit der Bitte einen Text über die während Corona neu entstandene Werkgruppe Am Fenster zu schreiben. Meine Frage war: Wie kann ich über Bilder schreiben, die ich nur als digitale Abbildung auf der Website, aber noch nie im Original gesehen habe? Klare Antwort: Dann komme ich mit dem Auto und den Bildern zu Ihnen. So war es dann auch. Warum erzähle ich das? Weil mich diese Entschlossenheit beeindruckt hat. Genauso klar ist ihre Bildsprache. Alle Bilder sind entschieden ausgewählte Motive und Situationen, die sich dadurch auszeichnen, dass alles Zufällige auf der Leinwand getilgt ist und nur Wesentliches stehen bleibt. Und dieses Wesentliche ist von Bestand, hat Kraft und ist von sachlicher Körperhaftigkeit. Von der Atmosphäre der Bilder könnten man auch von postmoderner Neuen Sachlichkeit sprechen.

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KAROLINA SARBIA

Kunsthistorikerin, Müschen

 

Text zum Katalog "Am Fenster", 2021

 

Ein performativer Ansatz der Malerei - am Beispiel des Werkzyklus Am Fenster von Anja Hantelmann

 

Mensch, Stuhl, Raum

 

Anja Hantelmann ist eine realistische Malerin. Ihre Bilder der neuen Werkgruppe Am Fenster sind auf den ersten Blick leicht erfassbar, der Raum klar definiert, die Gegenstände überschaubar: ein immergleicher Stuhl, eine gleiche Person in unterschiedlichen Posen, eine variable Raumsituation mit fest installierten Raumobjekten wie einem Heizkörper oder einer Jalousie, dazu ein Fenster mit Lichteinstrahlung. Die Konstellationen im Raum variieren, immer aber ist es ein einfaches Arrangement, wohl überlegt und figurativ angeordnet.

Alle Objekte, ob Ding ob Mensch, scheinen lebendig und fungieren wie Koordinaten in einem beweglichen Bezugssystem. Ein wandhoher Heizkörper wirkt im Angesicht einer stehenden menschlichen Figur wie ein reales körperliches Gegenüber. Der Stuhl in der Mitte trennt die beiden Antipoden und nimmt gleichzeitig eine Mittlerposition ein. In einem anderen Bild sind sich Stuhl und Heizkörper zugewandt, so als ob sie miteinander nonverbal kommunizieren. In einem wieder anderen Bild steht der Stuhl vor dem Fenster zu uns Betrachter:innen gerichtet. Warum sitzt die Person auf dem Boden oder stellt sich hinter die Jalousie und nicht auf dem Stuhl neben ihr?

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THOMAS NIEMEYER

Kunstwissenschaftler, Städtische Galerie Nordhorn

 

Zur Ausstellung „Metamorphosen“ von Michaela Haas, Anja Hantelmann und Katja M. Schneider,

Haus der Stadtgeschichte, Offenbach,16. Februar 2014

 

Die drei Künstlerinnen, deren Ausstellung wir heute hier eröffnen, Michaela Haas, Anja Hantelmann und Katja Schneider, haben unter einem ausgesprochen klassischen Titel zusammengefunden – den Metamorphosen. Ein Wort freilich, welches gleichwohl immer wieder auch einen rätselhaften Zauber zu entfalten vermag. Bevor ich mit meiner Erzählung die ausgestellten Bilder streife, möchte ich daher kurz den Faden aufnehmen, der mit diesem Titel schon ausgelegt wurde.

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DR. PETER JOCH

Kunsthistoriker, ehem. Leiter der Kunsthalle Darmstadt und des Museums Barberini Potsdam

 

Zur Ausstellung "Auslöser" von Anja Hantelmann, Regierungspräsidium Darmstadt, 2013

 

AUSLÖSER

 

Anja Hantelmann umspielt in ihren Gemälden die Grenze von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sie greift dabei vielfach alltägliche Situationen auf, erzählt aber auch beklemmende und schockierende Geschichten von verborgener Gewalt.

Zur Serie von Alltagsszenen, in denen die Figuren teilweise ausgeblendet oder nur mittelbar zu erfahren sind, gehört "Auf dem See 03". Bildbestimmend erscheint hier eine schimmernde Eisfläche, in der die Kufen von Schlittschuhläufern tiefe Spuren hinterlassen haben. Die Läufer selbst lassen sich nur durch ihr verschwommenes Spiegelbild erahnen. Die Malerei beschränkt sich also auf Spuren, die der Betrachter zu deuten und durch eigene Gedankenspiele zu ergänzen hat.

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NICOLE NIX-HAUCK

Kunsthistorikerin, Leitung Städtische Galerie Neunkirchen

 

Zur Ausstellung "Vorübergehend" von Anja Hantelmann, Städtische Galerie Neunkirchen, 2009

 

VOM VERSCHWINDEN DER AUGENBLICKE

 

Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir damit, unsere Wahrnehmungen und Erlebnisse zu selektieren; unbewusst, doch unaufhörlich sind wir damit beschäftigt, intuitiv als wichtig Erkanntes von vermeintlich Unwichtigem zu trennen, das Eine im Gedächtnis zu bewahren, während wir das Andere an uns vorübergehen lassen, ohne es weiter zu beachten. Nur die sehr begrenzte Auswahl dessen, was einen wie auch immer gearteten Erinnerungswert für uns besitzt, macht Erinnerung überhaupt möglich. Alles andere, der überwiegende Rest mithin, entzieht sich unserem Bewusstsein wieder. Der Augenblick vergeht, bevor wir ihn realisieren; er verschwindet mitsamt dem Unerinnerten, von dem wir nichts wissen werden, und wird Vergangenheit. mehr lesen...

FRANK WITZEL

Schriftsteller, Träger des Deutschen Buchpreises 2015, Robert Gernhard Preisträger

 

Zur Ausstellung "Heimat" von Anja Hantelmann im Haus der Stadtgeschichte, Offenbach, 2009

 

DAS HEIMATLOSE LAND

 

Dr. Schneggendahler sagt, das Gefühl der Heimatlosigkeit, wenn er das, was ich ihm geschildert habe, einmal so zusammenfassen dürfe, sei symptomatisch für unsere moderne Zeit und daher nichts Ungewöhnliches. Eine Aussage, die mir nicht sonderlich behagt, denn wenn ich schon leide, so soll es sich bei meinen Beschwerden um etwas Atypisches und diagnostisch schwer Einzugrenzendes handeln und nicht um Allerwelts-Wehwehchen. Auch dass Dr. Schneggendahler vom modernen Menschen spricht und mich als einen Vertreter dieser Modernität bezeichnet, macht mich stutzig: Befinden wir uns nicht mittlerweile sogar jenseits der Postmoderne? mehr lesen...

FRANK WITZEL

Schriftsteller, Träger des Deutschen Buchpreises 2015, Robert Gernhard Preisträger

 

Zur Ausstellung von Anja Hantelmann, Galerie Friedrich Witzel, Frankfurt, 15.02.2008

 

MALEREI VON ANJA HANTELMANN

 

Da diese Ausstellung heute einen guten Überblick über die Arbeiten von Anja Hantelmann repräsentiert, möchte ich versuchen, ein paar Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, in denen ich gewisse thematische Verbindung der doch sehr unterschiedlichen Bilder zu erkennen meine. Als Ausgangspunkt dafür erscheint mir der Begriff "flüchtig" sehr passend, der von Anja Hantelmann selbst stammt. Es ist der Titel einer Serie von Bildern, auf denen immer wieder eine Frau zu sehen ist, die ihrem eigenen Spiegelbild begegnet.

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FRANK WITZEL

Schriftsteller, Träger des Deutschen Buchpreises 2015, Robert Gernhard Preistrräger

 

Zur Ausstellung von Anja Hantelmann in der Praxis Dr. Winckler, Frankfurt, 07.11.2008

 

VERTIGO

 

Meine Sparkasse ist ein Traum aus Licht und Glas. Die Schließfächer sind nicht länger im Keller untergebracht, sondern befinden sich in einem transparenten Turm, der die Stadt überragt. Der Lift, der einen dorthin bringt, scheint sich kaum zu bewegen. Man benötigt weder Ausweis noch Schlüssel, sondern erhält Zulass, indem ein Gerät in Kopfhöhe die biometrischen Daten abgleicht und eine Irisdiagnose vornimmt. Da meine Augen zu tief in den Höhlen liegen, bin ich von dieser freiwilligen Serviceleistung meines Kreditinstituts allerdings ausgeschlossen. mehr lesen...

FRANK WITZEL

Schriftsteller, Träger des Deutschen Buchpreises 2015, Robert Gernhard Preisträger

 

Zur Ausstellung "Karussell" von Anja Hantelmann in der Remisengalerie Schloß Philippsruhe, Hanau

15. September 2007

 

DER SCHWINDEL DER REALITÄT

 

In seiner 1882 veröffentlichten Untersuchung Die Physiologie des Fliegens und Schwebens in den bildenden Künsten, stellt der Wiener Gelehrte Sigmund Exner fest, dass sich die Amoretten in Raffaels Gemälde Galatea mit einer Geschwindigkeit von 94,4 Stundenkilometer durch die Lüfte bewegen müssten, um der Schwerkraft zu entkommen und nicht zu Boden zu stürzen.

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DR. ROSITA NENNO

Kunsthistorikerin, damals tellvertretende Direktorin und Kuratorin im Deutschen Ledermuseum Offenbach

 

Zur Ausstellung "fluechtig" von Anja Hantelmann und Merja Herzog-Hellstén im Haus der Stadtgeschichte, Offenbach, 2005

 

FLÜCHTIG

 

Zu Beginn ein Blick in das Synonymwörterbuch aus der Dudenredaktion: neben einer Menge hier wirklich unpassender Adjektive für flüchtig kann bestenfalls „so nebenher“ bestehen; ich halte mich also lieber an meine eigene Assoziation, das schöne Fremdwort „ephemer“ aus dem Griechischen, das soviel bedeutet wie vergänglich und vorübergehend. Ich taste mich an die Bedeutung heran, habe huschende Bilder vor Augen, Gedanken, die sich nicht festhalten lassen, Momente, die zu schnell vergehen, sie flüchten…mehr lesen...

 

DR. ROSITA NENNO

Kunsthistorikerin, damals stellvertretende Direktorin und Kuratorin im Deutschen Ledermuseum, Offenbach

 

Zur Ausstellung "surprise - moi et toi" von Caroline Bachmann, Mirta Domacinovic und Anja Hantelmann, Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken, September 2003, Auszug

 

IDYLL ODER ALBTRAUM

 

Anja Hantelmanns Gemälde in Eitempera sind Stimmungsbilder, die sie aus der individuellen Erfahrung heraus schafft nach Foto- oder Videovorlagen. Wie in Filmstills hält sie einen Moment fest aus der Sequenz einer Erzählung ohne Vorher und Nachher. Der Zeitfaktor Null der eingefangenen Gegenwart ergänzt sich durch die Dauer des Betrachtens, und wie in psychologischen Assoziationsspielen fühlt sich der Betrachter aufgefordert, die Geschichte zu ergänzen, interaktiv auf die scheinbar banalen Alltagsszenen zu reagieren. Seiner Erfahrungswelt entspringt dann die Deutung: ob „Maria am Strand“ zum idyllischen Urlaubsschnappschuss in Venedig oder zum Horrorszenarium aus Alfred Hitchcocks „Vögeln“ wird, ob „An einem Sommertag“ die erholsame Siesta, „Kuck mal“ das kindliche Spiel nachzeichnet oder den Moment vor dem Verbrechen. Die Ausschnitthaftigkeit unterstreicht die Ambivalenz, und aus dem Spannungsfeld von Elementen, die im Ursprung nichts miteinander zu tun haben, resultiert eine rätselhafte Doppeldeutigkeit. Bei genauer Betrachtung scheint eine Bedrohung jedoch allgegenwärtig, wenngleich sie nie real wird. Die privaten Augenblicke, von der Künstlerin gelebt oder erfunden, erfahren durch die Unschärfe der Physiognomien eine Verallgemeinerung, die jeder mit eigenen Erfahrungen, Ängsten oder Fantasien ergänzen kann.

„Un“-Farben, Mischfarben, die nicht klar definierbar sind, bestimmen so auch die gedämpfte Farbpalette in Anja Hantelmanns Bildern, wobei sie immer mit leuchtenden Farben beginnt, die sie während des Malens abtönt. Wie ihre Geschichten werden die Ursprungsfarben also zugedeckt, der Malprozess selbst entspricht der Motivik.

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© Anja Hantelmann