BILD DER WOCHE

 

 

 

Ab Mitte März 2020 waren wir alle aufgefordert, möglichst zu Hause zu bleiben.
Direkte Kunstbetrachtung war also seitdem kaum möglich.
Deshalb entschloss ich mich, Euch/Ihnen einmal pro Woche ein Bild vorzustellen.

Beginn der Reihe am 27. März 2020.

Sie endete mit dem 35. Bild am 17.März 2021

 

 

 

"Nichtstun 5",  Eitempera auf Nessel, 100 x 75, 2003

 

Das Gemälde ist Teil meiner Reihe "Nichtstun" von 2003.
Ausgangspunkt war die Beschäftigung mit der gesellschaftlich geprägten negativen Konnotation von Nichtstun,
in einer Phase, in der ich nicht imstande war etwas Produktives zu tun.

Ich bat Ralf für mich zu posieren. Seine Ausstrahlung verriet, dass Nichtstun kein Problem für ihn sein würde.
Und tatsächlich: Im Gegensatz zu mir konnte er geniessen nichts zu tun. Locker und entspannt hing er im Sessel.

Heute assoziiere ich mit seiner Körperhaltung auf dem Gemälde eher einen Zustand, der beim langen Warten eintritt.
Wenn der Körper aus der sitzenden Position allmählich in eine liegende übergeht, weil man nicht mehr weiß wohin mit sich.

 
 

 

"Seit einer Stunde", Eitempera auf Nessel, 140 x 66 cm, 2012

 

Das Gemälde ist all jenen Frauen gewidmet, die sich seit Wochen - falsch - seit Monaten ihrem Schicksal häuslicher Gewalt nicht entziehen können.

 

Ich habe es zur Ausstellung "Gewalt" beigesteuert, die 2012 in der Heyne Kunstfabrik stattfand.

 

Es zeigt das große Bedürfnis und zugleich unmöglichen Versuch,
sich in aller Verletzlichkeit und Kraftlosigkeit
nach einer Vergewaltigung rein zu waschen.

 

 

 

"zu Hause zu Gast", Eitempera auf Nessel, 120 x 100 cm

 

Manchmal fühlt sich der Ort, der gerade das zu Hause ist, nicht danach an.
Manchmal fühlt auch das Selbst sich nicht nach dem eigenen an.

 

Zur Zeit gibt es kaum Möglichkeiten, dem zu entfliehen.

 

 

"Zimmer 203", Eitempera auf Nessel, 70 x 90 cm

 

Das Gemälde passt in diese in die jetzige Zeit, in der sich die Sonne bis zum Abend durch den Nebel kämpft,
die Feuchtigkeit jede Faser durchdringt und nichts verlockender scheint, als sich zurück unter die Bettdecke zu begeben.

 

Hier leuchtet das Kissen verlockend, verspricht Träume, die uns weit weg tragen von uns umgebenden Sorgen oder diese in sich aufzunehmen wie ein Speicher.

 

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"Federbetten", Eitempera auf Papier, 50 x 70 cm

 

Als Grundschulkind fiel mir beim Anblick von aus dem Fenster hängendem Bettzeug das Märchen von Frau Holle ein.
Die Moral des Märchens war nicht schwer zu verstehen - nur die Guten, die Fleissigen werden belohnt.
Und so eiferte ich sogleich dem Bild der Goldmarie nach.


Da mir das jedoch nicht immer gelang und ich zudem für meinen Fleiss nicht immer belohnt wurde, machte sich in mir Unmut breit.
Goldmarie begann mir kolossal auf die Nerven zu gehen. In der Fensteröffnung lüftendes Bettzeug war für mich fortan negativ besetzt.

Seitdem der Anblick selten geworden ist, hege ich eher romantische Gefühle.

 

Inzwischen sehe ich die Federbetten meiner Nachbarn als Signal: "Wir leben noch!"

 

 

"fast angekommen", Eitempera auf Nessel,100 x 140 cm

 

"fast angekommen" ist eins meiner persönlichsten Gemälde, denn es ist eng mit meiner Familiengeschichte verwoben.
Ich habe es 2009 im Zuge meiner Beschäftigung mit dem Thema "Heimat" gemalt.

Meine Großeltern mussten ihre mit ihren drei Kindern Ende des zweiten Weltkriegs verlassen.
Hameln war, da mein Großvater als Mühlenbauingenieur glücklicher Weise eine Anstellung bei einer Mühle bekam, ihre erste Station.
Etliche weitere folgten.

Mir sind unter den zahlreichen Schwarz-Weiss-Fotografien einige aufgefallen, auf denen das Paar ähnlich wie hier zu sehen sind:
Auf Küchenstühlen im Freien sitzend, mit der immer gleichen Tischdecke - einzig der Garten ist jedes Mal ein anderer. Mir erscheinen diese Inzenierungen mit Selbstauslöser wie eine Konstante, die den beiden, da sie so oft neu Fuß fassen mussten, Halt gab.
Speziell diese -  der Herr lesend, die Dame mit Handarbeitszeug in sehr aufrechter Haltung - hat es mir angetan.

 

 

"Geier 03", Eitempera auf Papier,100 x 70 cm

 

Wir, der Geier und ich, begegneten uns im Sommer 2013 auf einer Greifenwarte im sogenannten Geiergraben.
Gluthitze machte uns beide lethargisch. Geduldig stand er mir Modell, hielt sich aber nicht unbedingt ans Stillhalten.


Ständig gab es etwas zu Beobachten, was zumindest eine Änderung der Kopfhaltung nach sich zog.
Als der Geier sich urplötzlich für meine Wasserflasche interessierte, die ich, ohne nachzudenken, an die Lippen setzte, war ich froh, dass einer seine Füße mit einer Kette an einem Ring befestigt war.

 

Das Gemälde ist eine meiner ersten malerischen Annäherungen an diesen beeindruckenden Vogel. Zur Erzeugung einer fiktiven körperlichen Nähe setze ich ihn mir auf den Kopf. Erst jetzt mache ich mir Gedanken darüber, wie sich sein Gewicht würde anfühlen mögen, wie die Krallen, die sich in die Kopfhaut bohren. Sicherlich bliebe er nicht lange so sitzen.

 

 

"Schwan",.Eitempera auf Nessel,100 x 125 cm

Ein hors d'oeuvre, das 2013 entstand, als ich mich mit der Serie "Was das Zimmermädchen sieht" befasste.

 

Bäuchlings lag ich auf dem Steg. Ich beobachtete - wie so oft - das Wasser.
Früh morgens war's. Über dem See schwebten noch feine Nebelschleier.
Zusammen mit der sich spiegelnden Ufervegetation gaben sie dem Wasser etwas Irreales.

Erst als ein Schwan daherglitt, hatte der See seine Oberfläche wieder.

 

 

"Nichtstun 4", Eitempera auf Nessel, 100 x 75 cm
 

Die Serie "Nichtstun" entstand 2004 nach einem Video, das ich von mir aufnahm,
während ich mich in einer Phase befand, in der ich einzig imstande war nichts zu tun.
Mir ist klar, dass es nicht angehen kann, nichts zu tun. Wir tun ständig etwas.
Und wenn es nur Atmen ist.
Es war meine Arbeit im Atelier, die davon betroffen war.
Tagelang starrte ich auf meine leere Atelierwand. Tag für Tag kam ich nach Hause, ohne etwas Sichtbares geleistet zu haben.
Tag für Tag wurde der Zustand unerträglicher, bis er alles andere überstrahlte.

 

In dem Augenblick, als mich die ca. 1 cm großen Hühner auf den Aufklebern der sichbei mir stapelnden Eierkartons zu verhöhnen schienen, griff ich zur Video-Kamera und filmte mich beim Nichtstun.

 

Momentan denke ich: Nichtstun hat den Vorteil, nichts zu produzieren was nicht angesehen wird.

 

 

Blindekuh 4, Eitempera auf Nessel 100 x 75 cm

Das Spiel "Blinde Kuh", dem ich den Titel entlehnt habe, kennt wahrscheinlich jede/r aus der eigenen Kindheit.
Eine Person bekommt eine Binde vor die Augen und  ist blinde Kuh. Sie versucht die anderen Mitspieler*innen zu erhaschen, die natürlich den tastenden Händen ausweichen. Wer erwischt wird, ist die nächste blinde Kuh.

 

Ich habe das Spiel gehasst. Die Unsicherheit, das den Kniffen, Schubsern, Kichern der Anderen Ausgeliefertsein.

 

Die Bildidee hat allerdings einen anderen Hintergrund. Sie entstand nach der Geburt meiner Tochter.
Mein Körper schien keinen Halt mehr zu bieten, mein Ich weit weg.
Um mich im Raum zu spüren, verband ich mir fest die Augen.
Sofort war ich ganz Körper. Der Raum wirkte unwirklich und weit, sehr weit......

 

Und irgendwann war es da, dieses unsichere, etwas beklemmende Gefühl, das ich als Kind beim Blinde Kuh Spielen empfand.

 

 

 

Wäschestapel 01, Eitempera auf Holz,30 x 40 cm


Den Anblick eines Wäschestapels genießen.
Das schafft nur, wer in der Lage ist, ihn eine Weile liegen zu lassen.
Gesellt sich ein zweiter, vielleicht ein dritter dazu, können gar Vergleiche gezogen werden.

 

Schon wirkt der eine bieder weil ganz gerade, der andere vorwitzig weil zur Seite geneigt.
Auch lassen sich Sorgfalt, Eile, Nachlässigkeit der den Stapel Erzeugenden erkennen.

 

Zur Zeit haben wir mehr denn je Gelegenheit, uns in derartigen Beobachtungen zu üben.

 

 

"Fütterung 02", Eitempera auf Nessel, 110 X 90 cm

 

Die Kraft, die Stärken eines Geiers besitzen
 - seine Schnelligkeit, sein Durchhaltevermögen, seine blitzartige Reaktion, seine Aufmerksamkeit;
seine Fähigkeit, stundenlang ohne Energieaufwand in hohen Lüften zu kreisen, um sich irgendwann
wie ein Stein mit rasender Geschwindigkeit und Treffsicherheit auf sein Ziel zu stürzen -
diesen Wunsch verspüre ich hin und wieder.

 

 

"Quetschen" Eitempera auf Nessel, 70 x 50 groß

 

Genau kann ich es nicht auseinanderhalten, was mehr im Vordergrund stand, als ich mich entschloss diese Motivreihe zu malen:
War es die Faszination über die Kraft der Hände, sowohl der haltenden als auch der quetschenden?
Oder war es die Tatsache, dass mich der mit Trauben gefüllte Sack, aus dem langsam dunkelroter Saft quoll, an ein inneres Organ erinnerte?

Das Weglassen der Umgebung und der am Quetschen beteiligten Unterarme unterstreicht jedenfalls beides.

 

 

21 # "wie früher", Eitempera auf Nessel, 140 x 100 cm

 

Aus aktuellem Anlass wende ich mich Kindheitserinnerungen zu.

Das Nachhausekommen gehört wohl zu den einprägsamsten Momenten der Kindheit.
Sogleich stellen sich Erinnerungen von Gerüchen und Geräuschen ein; von der Art, wie die Tür nachgab, wenn der Türöffner aktiviert wurde; vom Drehen des Schlüssels im Schloss; von Temperatur und Luftfeuchtigkeit.
Klar und deutlich. Der Rest bleibt diffus, wie verblichen.

Im Herbst roch es nach Birnen, die auf den Schränken reiften, erzählte meine Mutter.
Wir konnten bei uns im Kreis von Raum zu Raum rennen, erzählte mein Vater.

 


20 # "Gerhard" (Humboldtschule), Eitempera auf Nessel, 54 x 50 cm

 

Gerhard gehört zu einer Gruppe von 12 1954 in Offenbach Geborenen, die ich 2004 anlässlich des Jubiläums "50 Jahre Großstadt Offenbach" gemalt habe. Wenn ich zurückdenke, war dieses Malprojekt das unterhaltsamste all meiner bisherigen Projekte. Bis auf das politische Doppelgespann Gerhard und Stephan fand ich meine "Großstadtkinder" über einen Artikel in der Offenbach Post. Die Damen und Herren, die sich daraufhin meldeten, lud ich ein, bei mir im Atelier auf meinem Cocktailsessel Platz zu nehmen. Während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählten, umrundete ich sie mit der Kamera.

Interessant waren nicht nur ihre Geschichten, sondern auch, wie sie sich auf verschiendenste Art und Weise auf den Sessel begaben.
Bei Gerhard wirkte das Möbel plötzlich eher wie für Kinder gemacht. Er zögerte kurz, bevor er sich setzte.  Auch scheint das Format zu klein für diesen beeindruckend großen Mann.

Die 12-teilige Serie "Großstadtkinder" ist Teil der Sammlung der Stadt Offenbach.

 

 

19 # "Am Fenster 05", Eitempera auf Nessel,  95 x 105 cm

 

Am Fenster 1-6 entstanden nach in den Gebäuden der ehem. Kappus-Fabrik in Offenbach gesehenen Raumsituationen.

Je nach Raumausschnitt u. Arrangement verändern sich Verhältnis und Aussage von leerem Stuhl, Fenster, Heizkörper und Mensch im Raum.


Das Malereiprojekt wurde von der Hessischen Kulturstiftung gefördert.
 

 

 17 # "Aus den Alben einer Unbekannten", Eitempera auf Papier,  50 x 70 cm

 

Vor einigen Jahren zog ich aus einem riesigen Sperrmüllhaufen einige Fotoalben. Scheinbar war die Wohnung einer Verstorbenen ausgeräumt worden. Zumindest fand sich neben Möbeln, Hausrat und Dekoartikeln viel Frauenbekleidung. Ich war sehr berührt. Vor mir lagen die Überreste eines ganzen Menschenlebens! Mit den Alben wurden die Erinnerungen an diesen Menschen auf dem Müll verfrachtet.

Die Fotos bestanden überwiegend aus Aufnahmen, die scheinbar ihr Mann im Urlaub oder auf Ausflügen gemacht hat. Lediglich sie war zu sehen, immer mit einer Handtasche, seltsam deplatziert in irgendeiner Landschaft. Es gab auch noch ein älteres Album, worin eine Frau einer älteren Generation auf ähnliche Weise abgelichtet war - vielleicht ihre Mutter.

Ich beschloss das Andenken dieser Frauen zu würdigen und es in einer kleinen Serie von 6 Gemälden wieder aufleben zu lassen.

 

 

16 # "Im See 05", Eitempera auf Nessel, 95 x 90 cm, Bestandteil der Gemäldereihe "Im See" von 2006.


Das Gemälde zeigt ausschnitthaft eines schwimmenden Menschen. Erkennbar sind ein im Wasser schwebender Arm sowie etwas Stoffliches, das an Spitze erinnert. Der Kopf, stark angeschnitten, wiederholt sich verzerrt in seiner Reflexion.

Kühl und weich fühlt sich Seewasser an, wenn der Körper hindurchgleitet. Mit geschlossenen Augen abtauchend scheinen die körperlichen Grenzen aufgehoben. Vergessen ist das Eigengewicht, vergessen sind alltägliche Sorgen, sobald das Wasser den Körper umschließt.

 

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15 # "Auf dem See 03", Eitempera auf Nessel,  80 x 80 cm

 

Drei Personen stehen auf einer glatten Eisfläche. Es ist nur der untere Teil ihrer Beine zu sehen.
Ihre restlichen Körper verlieren sich diffus im Blau Himmels.

Im Winter 2011/12 gab es eine starke, mehrere Tage andauernde Kältephase, die dem Schultheißweiher in Offenbach Gelegenheit gab, glasklar zuzufrieren. Im Seichten konnte man deutlich den Grund sehen. Der Himmel bildete sich wie auf einem Spiegel ab.
Einzig von Schlittschuhen hineingekratzte Spuren verrieten, dass es sich um eine begehbare Fläche handelte.
Den See durchziehende Risse gaben Auskunft über die enorme Dicke des Eises, doch die extreme Klarheit hinderte mich daran dem zu vertrauen.

Das aktuelle Tagessgeschehen lässt mich dieses Gemälde auswählen.
Leben wir unser Leben nicht genau so - indem wir einer scheinbaren Sicherheit vertrauen?

 

 

14 #  "Im Gespräch 01" Eitempera auf Papier, 50 x 70 cm
 

Seit Jahren schon habe ich im Sinn, einen Mann zu malen, auf dessen Schoß ein Fisch liegt.
Der Fisch sollte groß und schwer sein. Kein Wels, kein Hochseefisch, eher ein Barsch, also einer, der einem Fisch aus dem Bilderbuch entspricht, mit Schuppen und schönen Flossen. Doch wie komme ich an einen solchen Fisch? Er müsste gerade gefangen sein, mein Modell müsste parat stehen, ein anschließendes Fischessen wäre schön......

Zur Annäherung habe ich einen Saibling gekauft, frisch aus einem Seligenstädter Zuchtbecken.
Während ich ihn von allen Seiten betrachtete, sonderte er stetig Schleim ab, weshalb er schwer zu halten war und mir mitten in der Fotosession entglitt. Also packte ich ihn mit einem kontrollierten Griff.
Es schien, als wollte er mir etwas mitteilen.

 

 

13 # "Am Fenster 01", Eitempera auf Nessel gemalt, 90 x 100 cm


Ein hölzener Lehnstuhl steht an einem geöffneten Fenster. Das einfallende Licht beleuchtet, bis auf zwei helle Refexionen auf dem Boden, diffus Stuhl und umgebenden Raum. Der Rest ist in Dunkelheit getaucht.

Die gleissende Helligkeit der Fensteröffnung und Reflexionen zeugen von Sonnenschein. Durch Blau- und Violetttöne entsteht jedoch der Eindruck von Kühle. Fast meine ich einen kühlen Lufthauch zu spüren und verstehe den leeren Stuhl als Einladung, mich in die von ihm ausgehende Ruhe zu begeben.

Das Gemälde bildet den Auftakt einer Reihe von aus Fotografien generierten Motiven, die ich 2017 in der ehemaligen Kappus-Fabrik in Offenbach kurz vor ihrem Abriss aufgenommen habe. Ich untersuche damit die Aussage von leerem Stuhl, Fenster, Heizkörper und Mensch im Raum in verschiedenen Variationen. Eine scheinbare Anwesenheit von scheinbar Abwesenden tritt in Erscheinung.

 

 

12 # "Gasflamme" aus dem Zyklus "Heimat" von 2009, Eitempera auf Nessel 90 x 100 cm
 

Da meine Familie bis zu meinem sechsten Lebensjahr mehrfach umgezogen ist (Hamburg - Konstanz - Bernried - Offenbach) fehlt mir ein Gefühl von heimatlicher Verwurzelung. 2008 begann ich Recherchen zur Erörterung der Frage, was Heimat ausmacht. Gespräche mit Freund*innen, Verwandten, Passanten sowie die Lektüre von philosophischen Texten zum Thema ergaben für mich, dass das, womit wir Heimat verbinden, in den Erinnerungen unserer Kindheit zu suchen ist.

Auf dieser Grundlage machte ich mich auf die Suche nach Motiven, die beim Betrachten die Assoziation von "Heimat" entstehen lassen, allesamt aus der Höhe von Kinderaugen: Vorm Wohnhaus trocknende Wäsche, das Haus von gegenüber, der Blick an die Zimmerdecke, der Weg zum Spielplatz, eine Äpfel schälende Frau, Tomaten auf der Fensterbank, ein großes Gewässer und und und...
 
Der Blick auf den Herd mit den damit verbundenen Erinnerungen an Gerüche, die durch Haus oder Wohnung zogen, gehört auch dazu.
Bei uns zu Hause wurde elektrisch gekocht. Eine Herdplatte ist in meinen Augen allerdings kein besonders interessantes Motiv. Da ist mir die Gasglamme, mit der meine Tochter aufgewachsen ist, wesentlich lieber.
 

 

11 # "Im Grünen 01",Eitempera auf Nessel,  75 x 100 cm

 

Ein an bewaldetem Ufer dahingleitender Kanadier.
Von den Insassen ist nur das Abbild im Wasser zu sehen.

Ich weiß noch, wie ich die sich schlängelnden Bewegungen der Spiegelung von Boot, Körpern und Matte beobachtete.
Wie dabei das Boot lautlos das glatte Wasser durchschnitt. Wie klar sich das üppige Grün des Ufers im Wasser abzeichnete.
Um die Sogwirkung meiner Faszination auch beim Betrachten des Gemäldes herbeizuführen, war das Nichtabbilden der Insassen unabdingbar.

Wie sich der Blick in den Spiegelungen verlieren kann,  können wir uns im Strudel unserer Gedankengänge verlieren, ausgelöst durch die Absurdität des Sichtbaren.
 

 

10 # "Wringen 01" aus dem Zyklus "Begreifen",  Eitempera auf Nessel, 70 x 78 cm

Zu sehen sind Hände, die dabei sind einen Wischlappen auszuwringen.
Die Umgebung ist ausgespart. Fokus liegt auf dem Akt des Wringens.
Heraustretende Sehnen und Adern sind Anzeichen dafür, dass Kraft im Spiel ist.

Unsere Hände leisten viel im Laufe unseres Lebens. Sie halten, greifen, fühlen, pressen, streicheln, drücken, kneifen....
Wie wichtig sie sind, wird uns erst bewußt, wenn sie aufgrund einer Verletzung nicht funktionieren wie gewohnt.
Der Zyklus würdigt ihre Leistung. Gleichzeitig ist es eine Würdigung alltäglicher Tätigkeiten, die nach wie vor (Ich bitte darum mich zu korrigieren, sollte meine Einschätzung falsch sein.) vornehmlich Frauen vorbehalten sind.

Durch das Weglassen des Umraums und den Ausschnitt wird das Motiv seines Kontexts beraubt und erscheint seltsam sperrig und abstrakt.

Fortsetzung folgt.

 

 

9 # "Karussell 9", Eitempera auf Nessel, 80 x 110 cm

 

Es war einer der fesselndsten Momente meiner Kindheit, als ich zum ersten Mal ein Kettenkarussell in Bewegung sah.
Mit wehenden Haaren rasend schnell durch die Luft zischen - das wollte ich auch!
Kaum bewegte sich das Karussell ging der Blick die Ketten entlang nach oben zur Befestigung am massiven Pilz. Sie schienen mir auf einmal etwas dünn. Der Traum vom Fliegen wich einer unbestimmten Angst, die ein recht mulmiges Gefühl in der Magengegend hinterließ. Meine Hände schlossen sich krampfhaft um das kühle Metall.

Der Reiz sich wieder und wieder dem Schwindel auszusetzen ist und bleibt ein Rätsel.
Anfangs kann der Blick noch der Drehung folgen. Sobald die Fliehkraft einsetzt, scheint die ganze Welt, das Leben an uns vorüber zuziehen - viel zu schnell, unfokussierbar. Setzt dann die Intervallbeschleuniggung ein, beginnt noch dazu alles um uns herum zu stürzen, auch wir selbst. Von weitem ist unser Geschrei zu hören, angesiedelt irgendwo zwischen Lust und Angst.

Vielleicht ist das der Reiz:
eine persönliche Grenze überschreiten, eine Art Mutprobe.... sich einem Gefühl aussetzen, das wir wahrhaft nicht haben wollen:
Das Gefühl, von aussen bewegt zu werden ohne es verhindern zu können; zu spüren, dass das Leben nur an seidenen Fäden hängt.

 

 

8 # "Manchmal" ,Eitempera auf Nessel, 115 x 80 cm

 

"Manchmal" zeigt eine Frau in Blue Jeans und weissem Top. Sie sitzt auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt.
Ihre Beine sind aufgestellt, ihre verschränkten Arme sind auf den Knien abgelegt, ihre Füße nackt.
Von gegenüber fällt ein gleissendes Lichtviereck auf die Wand. Kopf und rechter Arm scheinen sich darin aufzulösen.
Obgleich auf ihnen viel Gewicht lastet, wirken die Füße als schwebten sie auf dem blaugrauen Boden.
Der Blick der Frau geht ins Nirgendwo.

In eltlichen meiner Gemälde bin ich selbst Protagonistin, was meist daran liegt, dass ich als Modell so praktisch verfügbar bin.
Denn manchmal muss es sehr schnell gehen, darf die Zeitspanne zwischen Bildidee und Realisierung nicht zu lang sein.
Inzwischen habe ich mich an mich als Bildmotiv gewöhnt und ich muss zugeben: Ich mag meine Hände und meine Füße.

In dem Gemälde geht es um die Ausflösung des Selbst in manchen Lebenssituationen und das damit einhergehende Gefühl der Haltlosigkeit.
Es ist etwas, was Vielen momentan begegnet, denke ich.

 

 

7 # "Crossing", Eitempera auf Nessel, 102 x 100 cm

 

Drei große Schiffe, unterwegs auf hellgrünem Gewässer im hellem, diffusem Morgenlicht.
So sah ich sie vor einigen Jahren von den Kreidefelsen Dovers aus.
Im Sichtfeld des Fernglases wirkten die riesigen Schiffe überraschend still und friedlich, wie sie sich langsam durch den Raum bewegten.
Lärm und Gestank waren weit weg irgendwo da draussen.

Letzte Woche noch war der Hafen von Dover wie verlassen, wie eine Webcam dokumentierte. Kein Schiff, keine Autos, lediglich Spaziergänger mit Hund waren zu sehen - ein sehr ungewöhnlicher und seltener Anblick eines Hafens dieser Größe.
Unwirklich, denn vor Wochen sah die Realität noch anders aus.

Unwirklich wirkt nun auch die Szenerie auf dem Gemälde.

 

 

6 # "Blick auf Jesus", Eitempera auf Nessel, 75 x 100 cm

 

Ein kleines Mädchen sitzt vollkommen selbstvergessen in einem Kirchenraum.
Die Beine baumeln entspannt von der hölzernen Kirchenbank. Der Kopf ist leicht angelehnt.
Der Blick geht aus der oberen linken Bildecke hinaus. Seine Höhe lässt erahnen was der Bildtitel bestätigt:
Er ist auf Jesus gerichtet.

Im Alter von 5 Jahren entwickelte meine Tochter, ausgelöst durch die vom Pfarrer der evangelischen Kita sehr lebendig dargestellten Ostergeschichte, eine intensive Beziehung zu Jesus. Während ich mich bei unseren zahlreichen Kirchenbesuchen im Urlaub mit Madonnendarstellungen und Lichtsituationen befasste, widmete sich meine Tochter aus vollem Herzen Jesusfiguren. In diesem Fall war das Zwiegespräch besonders intensiv, was die Gelöstheit des Körpers zeigt. Der matte Glanz des Holzes der Sitzfläche zeugt von Generationen von Gläubigen.

In den letzten Wochen blieb den Menschen der Zugang zu Kirchen verwehrt. Dabei wäre gerade in einer derartigen Krisensituation ein Ort des Gebets wichtig. Beschaffenheit, Ausrichtung und damit einhergehender Lichteinfall machen Kirchengebäude auch für Nichtgläubige zu besonderen Räumen der inneren Einkehr. Schön, wenn sie wieder betreten werden dürfen.

 

 

 5 # "Halloween 3", Eitempera und Acryl auf Nessel, 97 x 120 cm."Halloween 3"

Vor nachtschwarzem Grund ragt der Kopf eines Jungen ins Bild. Seine Totenmaske hat er nach oben aus dem Gesicht geschoben, mit dem Effekt, dass die Zähne der Maske sich in seine Stirn zu bohren scheinen. Aus der rechten oberen Bildecke schiebt sich ein Fisch ins Bild, dessen Augen Blasen werfen. Seine Zunge steckt im offenen Maul, als sei er daran erstickt.

Anlass zu der Reihe gab mir der bei uns mittlerweile etablierte Brauch, dass Kinder am 31. Oktober ab Anbruch der Dunkelheit maskiert von Haus zu Haus ziehen, um dort  mit den Worten "Gebt uns Süßes, sonst gibt's Saures" Süßigkeiten zu fordern. In dieser Nacht sind angeblich Geister unterwegs, die mit den Süßigkeiten gezähmt werden können. Mittels unheimlicher Verkleidung und Maskerade hoffen die Kinder Andere zu erschrecken. Den größten Schauder erleben sie jedoch selbst, wenn sie durch die Dunkelheit huschen, um auf Klingeln unbekannter Bewohner drücken. Der Fisch steht hier für den Grusel. Er entstammt meiner Erinnerung an das Märchen "Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen".

Das Gemälde spricht wovon die Menschen zur Zeit geprägt sind - von der Angst vor dem Ungewissen, dem Unsichtbaren, dem Unbekannten, dem Unberechenbaren.

 

 

4 # "Umkleide 02", Eitempera und Acryl auf Nessel, 145 x 80 cm

 

Auf dem Gemälde ist eine in Weiss gehaltene Silhouette eines weiblichen Körpers auf beigefarbenem Grund zu sehen.
Die Beine sind weggelassen, ein Arm ragt nach oben aus dem Format heraus.
Schultern und Kopf stecken in einer grau-schwarzen Form fest, die sich erst auf den zweiten Blick als Kleidungsstück entpuppt.

Die reduzierte Darstellung lenkt den Fokus.
Hier geht es um das Vielen wohlbekannte und sehr unangenehme Gefühl der Enge und des Ausgeliefertseins,

dass sich einstellt wenn frau/man sich in einer muffigen Umkleidekabine mühevoll eines Kleidungsstückes

entledigen möchte oder sich in eines hineinzwängt.

Der Ort, um den wir sonst einen Bogen machen, da er uns mittels gnadenlosem, weil kaltem und ungünstig

ausgerichtetem Licht mit unserer körperlichen Unperfektheit konfrontiert - nun wird er zum Sehnsuchtsort.

 

 

 3 # "heute morgen 02", Eitempera auf Nessel, 90 x 120 cm


Wieder spare ich die Umgebung aus, hier fehlt sogar der Kopf.
In einer Lache spiegelt sich eine am Tisch sitzende Person mit Kaffeeschale.
Bei der Flüssigkeit handelt es sich wohl um den Schaleninhalt.
In der Reflexion klar erkennbar sind Schale und aufgestützter Arm.

Das Thema Wasser zieht sich durch mein malerisches Werk: als tragendes, fliessendes, gewaltiges oder auch starres Element.
Wasser bestimmt unser Leben. Wir bestehen zum großen Teil daraus und nehmen es stets zu uns.
Auch wenn die Tiefe einer Wasserfläche nur einen Millimeter beträgt, reicht die Spiegelung scheinbar ins Endlose.
Wir werden auf uns zurückgeworfen, können uns darin verlieren.

Wir werden auf uns zurückgeworfen, können uns darin verlieren - das erzeugt ein Echo in meinem Kopf. Ein Resultat der letzten Wochen?
Ich schöpfe Zuversicht aus der seltsamen, gleissenden Reflexion.

 

 

2 # "Zimmer 211", Eitempera auf Nessel, 90 x 85 cm

Man könnte meinen, wir hätten uns vom Esszimmer ("Manchmal kommt Besuch") direkt ins Schlafzimmer begeben. ;)

Das Bild ist Teil der Serie "Was das Zimmermädchen sieht". Zu sehen ist der ausschnitthafte Blick auf ein vor kurzem verlassenes Doppelbett.
Die Kissen sind zerknäult, leicht einander zugewandt; die Bettdecken, verdreht zurückgeschlagen, berühren sich leicht in der Mitte.
Die Art und Weise, wie die Laken locker um und auf den Matratzen liegen, lässt auf Federkern schließen.
Andere Motive der Serie zeugen von Einsam- manche von innigerZweisamkeit, manche von wilden Träumen, manche von Ordnungssinn.
Während sich vor meinen Augen mittels heller und dunkler Farbnuancen Volumina und Stofflichkeit aufbauten, rief ich mir den Moment ins Gedächtnis, als ich verstohlen den intimen Raum des Abreisezimmers berat.

Heute wende ich mich dem Zimmermädchen zu, anstatt um die Urheber*innen der Hinterlassenschaften zu kreisen.
Es drängt sich mir der Gedanke auf, dass zur Zeit wenige Hotelbetten zerwühlt werden.
Die Sicherheit des Arbeitsverhältnisses des Zimmermädchens wird fraglich sein.
Hoffen wir, dass es nicht zu lange dauert bis wir wieder reisen können.

 

 

1 # "Heute kommt Besuch", Eitempera auf Nessel, 140 x 120 cm

 

Das Bild zeigt einen Geier, der auf einer Kaffeetafel gelandet ist, die für 5 Personen gedeckt ist.
Er hat durch seine Landung ein großes Durcheinander angerichtet. Seine Anwesenheit spricht jedoch dafür,
dass im Vorhinein etwas vorgefallen ist, das es nun zu bereinigen gilt. Es lassen sich vielfältige Geschichten spinnen.

 

In der gegenwärtigen Situation erhält das Gemälde eine ganz andere Bedeutungsebene.
Für viele gerät die Welt aus den Fugen, sei es durch den Verlust eines geliebten Menschen, sei es durch die Angst vor finanziellem Ruin.
Wenn die Krise vorüber ist, wird die Welt nicht mehr sein wie zuvor. Hier kommt der Geier in Spiel.
Hoffen wir, dass sich beim Aufräumen auch Chancen auftun.

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© Anja Hantelmann